Schönheit des Schachproblems

Auszüge aus der Einführung zu "Im Bannes des Schachproblems" von Ado Kraemer und Erich Zepler

Titelbild der Ausgabe von 1951Es ist nie soviel über das Schachproblem geschrieben worden wie in den letzten dreißig Jahren. Theoretische Streitfragen um Dinge, die häufig verschiedener Deutungen fähig sind, haben zu endlosen Kontroversen geführt, ohne indessen Übereinstimmung zu ergeben. ....Wir wollen hier ... etwas für uns Grundsätzlicheres anpacken, von dem wir glauben, dass es entscheidend ist und bleibt für den Wert eines Schachproblems. Wir wollen von der Schönheit des Schachproblems sprechen. Das und nichts anderes soll der Angelpunkt unserer Ausführungen sein.
Wir wissen wohl, dass es Problemtheoretiker gibt, die die Schönheit im Schachproblem als etwas weniger Wichtiges ansehen, als etwas Vergängliches, dem Wechsel der Zeit Unterworfenes. Für sie ist eine Rekordleistung, wie etwa der neunfache Schlagfall auf einem Felde – um einen beliebigen Vorwurf herauszugreifen – wichtiger, weil eine Rekordleistung etwas Absolutes, Unantastbares ist. Wir empfinden anders. Wir verkennen gewiss nicht das theoretische Interesse, das einer solchen Leistung gebührt, aber uns ist ein Problem, das weniger Schlagfälle aufweist, dafür aber schön, elegant und überraschend ist unendlich viel lieber als jenes Rekordproblem, falls es schwülstig und häßlich sein sollte.
Gewiss es gibt Schachprobleme, die durchaus nicht schön sind und dennoch in die Geschichte des Schachproblems eingegangen sind. Das aber sind immer solche Probleme, in denen ein neuer und fruchtbringender Gedanke zum ersten Male dargestellt worden ist. Das markanteste Beispiel ist das Indische Problem von Loveday, das auch heute noch als das berühmteste Schachproblem bezeichnet werden muss. Seine Stellung in der Problemgeschichte ist wohlverdient, denn diese Aufgabe hat ein neues Zeitalter in der Entwicklung des Kunstschachs eingeläutet. Aber niemand wird behaupten wollen, Genuss beim Studium des Indischen Problems zu empfinden. Denn die Aufgabe selbst ist roh und unbeholfen. Trotzdem sind unsere Gefühle bei ihrem Anblick etwas feierlich. Sie sind vergleichbar etwa mit jenen Gefühlen, mit denen wir heute die erste Dampfmaschine oder das erste Flugzeug betrachten. Bahnbrechende Gedanken wie erstmals im Indischen Problem dargestellt, liegen nicht auf der Straße, und deswegen, aber nur deswegen, sind solche erstmaligen Funde und Schöpfungen bleibend. Sehen wir solchen Erwägungen ab, so ist festzustellen , dass ein Problem von bleibender Bedeutung nur zu erreichen ist, wenn es vom Geiste der Schönheit durchtränkt ist.

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